Lesetipp aus nmz 05/2025

Lesen Sie hier das komplette Interview mit Prof. Florian Ludwig

Judith Lenz (JL): Lieber Herr Professor Ludwig, die
Vernetzungsinitiative #patenschaftaufohrenhöhe möchte u.a. dazu beitragen, den konkreten Austausch über ein Musikstudium zwischen den Jugendlichen an Jungstudierendeninstituten und Musikschüler*innen zu ermöglichen, den Nachwuchs zu fördern, zu mobilisieren und gemeinsam Begeisterung für Musik zu erfahren.“


Prof. Florian Ludwig (FL): Selbstverständlich müssen alle mit Musik befassten Institutionen, Verbände, Hochschulen, Kulturträger in dieser Situation höchst netzwerklich arbeiten, an dem einen Strang ziehen, der uns noch HoNnung lässt. Theater und Orchester wenden sich seit den 2000ern deutlich mehr und intensiver dem jungen Publikum zu, das ist natürlich äußerst positiv und extrem wichtig, kann es doch Inspirationspunkte und Sehnsuchtsmomente für eine musikalische Ausbildung wecken. Gleichzeitig sind ja auch diese Institutionen einem ständigen Sparzwang ausgesetzt und dieser, wie auch die eigentlich andere Ausrichtung, lassen Ihnen gar nicht die Möglichkeit, das aufzufangen, was an den Schulen verloren geht.

Die Musikschulen sind ein weiterer von Deutschland zusammengesparten Schätzen. Durch JEKI und JeKits in einen Kannibalisierungskampf gezwungen, sind nun durch das Herrenbergurteil zwar wieder mehr festangestellte Kräfte an der Musikschule zu finden, die Etats und Lehrkörper insgesamt hingegen sind deutlich kleiner als früher.


JL: Professor Ludwig, Jakobs Berufswunsch (Anm. d. Red. Musiklehrer an einem Gymnasium zu werden) gibt deutlich Grund zur Hoffnung.
Wir erfahren jedoch leider immer wieder, dass der Musikunterricht, der erlebbar und inspirierend sein sollte, zu viel ausfällt, nicht zustande kommt oder einfach ganz im Schulalltag gestrichen wird.


FL: Das Dilemma der Musikausbildung in Deutschland ist, dass wir seit den 80er und 90er-Jahren einen konsequenten Niedergang der Musikausbildung in der Breite, also an den allgemeinbildenden Schulen erleben. Musik wird oft nur noch als Spezialbegabung verstanden und gefördert, hier gibt es natürlich nach wie vor die Wenigen, die in musikalische Erbhöfe, also beruflich musikalisch beschäftigte Familien, hineingeboren werden. Oder eben die außergewöhnlichen musikalischen Begabungen, die sich allen Widrigkeiten zum Trotz durchsetzen, weil es für sie einfach keine Lebensalternative zur Musik gibt.

In diesem Mangelzustand, der die Macht der Musik als gesellschaftsverbindendes Element, ja auch als Sozialkompentenz schaNendes Medium negiert, befinden wir uns. Mittlerweile sind alle Akteure deutlich wacher, die Hochschulen nehmen über Jungstudierendeninstitute und konkretere Werbemaßnahmen mögliche Bewerber*innen viel früher in den Fokus. Die Musikschulen haben sich durch eine Verbreiterung des Repertoirekanons und des unterrichteten Instrumentariums vielfältiger aufgestellt.


JL: Die MULEM-EX weist auf, dass die Eignungsprüfungen an Hochschulen auf viele abschreckend wirken, insbesondere im Bereich der Musiktheorie/Gehörbildung.

Vernetzt mit der Johannes Brahms Musikschule und der HfM Detmold bietet der DTKV Landesverband NRW diesbezügliche Vorbereitungskurse an.
Gleichzeitig gibt es an Musikhochschulen noch immer deutlich mehr Bewerber als Plätze.


FL: Die Musikhochschulen waren lange eine Art Insel der Seligen und haben sich vielleicht zu spät mit dieser aufkommenden Existenzkrise beschäftigt. Zu leicht war der Rückgang an Studienbewerber*innen aus dem eigenen Land aufzufangen durch eine Internationalisierung. Diese bietet natürlich auch positive Aspekte. Im Ganzen wird aber dadurch ein Problem verschleiert, das oNensichtlich ist: Deutschland kümmert sich viel zu wenig um eine musikalische Breitenbildung und setzt damit sein kulturelles Erbe nachhaltig aufs Spiel.


JL: Besonders die musikpädagogischen Talente sollten entdeckt und gefördert werden, um dem im Juni 2024 vom DMR kommunizierten enormen Defizit an Musiklehrkräften von 66% bis zum Jahre 2035 in den Sekundarstufe I und II, entgegen zu treten. Dass sich etwas in die richtige Richtung entwickeln kann, hat in diesem Jahr die Jugend musiziert Region Hamm/Westfalen zupackend frisch gezeigt: die Musikschule der Stadt Hamm, Gründungspartner der #patenschaftaufohrenhöhe hat sowohl eine Preisträgerin in der diesjährig erstmals ausgetragenen Kategorie „Musikpädagogik“, als auch einen Preis erhalten bei den Netzklang Awards in Düsseldorf mit ihrem Film „Merits Weg in die Musikpädagogik.

Gelungene Vernetzung und ein gutes Beispiel inspirieren, schaNen und unterstützen die Gemeinschaft der durch die Musik Verbundenen und sind im besten Falle geeignet, Begeisterung für die Sache erlebbar zu machen. Haben Sie einen abschließenden Aufbruchsgedanken, den Sie mit uns teilen möchten?


FL: Ziel muss es für alle sein, mehr begabte Studierende für einen Beruf zu begeistern, der eben einzigartig und zauberhaft sein kann, wenn man der Mut hat, sich ihm ganz zu widmen. Gerade die Stärkung der Schulmusik sollte dabei im Zentrum stehen. Nur dann kann es gelingen, nicht nur die Breitenbildung an den Schulen im Fach Musik wieder auf stabile Füße zu stellen, sondern eben auch gesellschaftlich einen Wandel zu mehr Miteinander einzuleiten. Wer im Chor oder im Orchester etwas erreichen will, der kann dies nur gemeinsam und er muss immer das schwächste Glied der Mannschaft mitnehmen. Wenn dies als gesellschaftliche Aufgabe verstanden ist, dann sieht es mit der Zukunft der deutschen Kulturlandschaft wieder anders aus.